Wer übernimmt die Kosten für die Lerntherapie?

Um Kindern mit Lernstörungen das Lesen-, Rechtschreiben- und Rechnenlernen nachhaltig zu erleichtern, bedarf es einer fundierten Ausbildung und spezifischen Expertise im Bereich der Lerntherapie. Die bisherige Praxis in Österreich zeigt jedoch eine Ungleichheit in der Abrechnung von LRS- und Dyskalkulietherapie über die Krankenkasse.

Deshalb möchte ich, bevor ich die Frage nach der Kostenübernahme der Therapie für Kinder mit Lese-Rechtschreibschwäche (Lese-Rechtschreibstörung) oder Dyskalkulie (Rechenstörung) beantworte, zwei grundlegende Fragen klären: Welche spezifische Unterstützung benötigt dein Kind genau? Und welche Fachperson verfügt über die erforderlichen Qualifikationen, um eine wirksame Förderung zu gewährleisten?

Welche spezifische Unterstützung bieten einzelne Berufsgruppen?

Logopädinnen und Logopäden arbeiten mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, um Probleme wie Sprachentwicklungsstörungen, Artikulationsstörungen, Stottern, Stimmstörungen oder Schluckstörungen zu behandeln.

Ergotherapeutinnen und -therapeuten unterstützen ihre Patienten dabei, alltägliche Aktivitäten auszuführen, indem sie Bewegungsabläufe, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit verbessern. Dies umfasst auch die Behandlung von Problemen wie Feinmotorikstörungen, Konzentrationsproblemen oder Schwierigkeiten bei der Selbstversorgung.

Die Lerntherapie, auch bekannt als Legasthenie- bzw. Dyskalkulietherapie, befasst sich ausdrücklich mit Lernstörungen wie einer Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie) oder einer Rechenstörung (Dyskalkulie). Lerntherapeutinnen und -therapeuten unterstützen Kinder, Jugendliche und Erwachsene dabei, ihre Lernschwierigkeiten zu bewältigen, indem sie individuelle Förderpläne entwickeln und spezifische Methoden und Techniken anwenden, um die Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten zu verbessern. Dabei werden unter anderem phonologische Bewusstheit, Leseflüssigkeit, Rechtschreibstrategien sowie mathematische Grundlagen trainiert. Meine sehr geschätzte Kollegin Susanne Seyfried aus Deutschland hat einen spannenden Blogartikel verfasst, in dem sie gemeinsam mit der Logopädin und Lerntherapeutin Stefanie Schmidt die Frage - Lerntherapie oder Logopädie – welche Unterstützung hilft bei einer LRS? – diskutiert.

Welche Therapieansätze empfehlen die S3-Leitlinien?

Eine Leitlinie schafft eine wissenschaftlich begründete Basis für die Entscheidungen, welche diagnostische Verfahren und welche Therapiemethoden angewendet werden sollen.

Die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und/oder Rechtschreibstörung empfiehlt ganz klar, dass die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und/oder Rechtschreibstörung an den Symptomen der Lese- und/oder Rechtschreibstörung ansetzen soll. D. h. einfach ausgedrückt, Lesen und Schreiben lernt man nur durch Lesen und Schreiben!

Was sagt die S3- Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung der Rechenstörung?
Die Behandlung einer Rechenstörung soll von Fachkräften durchgeführt werden, die über eine pädagogisch-therapeutische Ausbildung im Bereich der Rechenentwicklung und ihrer Störung nach den Standards der einschlägigen Fachverbände verfügen. Anmerkung: Standards sind durch den Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e. V. (BVL) und den Fachverband für integrative Lerntherapie e. V. (FiL) erstellt worden. Darüber hinaus gibt es Bachelor- und Masterstudiengänge mit Schwerpunkt Lerntherapie.
Bei uns in Österreich garantiert der Berufsverband Akademischer Legasthenie-DyskalkulietherapeutInnen (BALDT) die Einhaltung dieser Standards, der eng mit dem deutschen Fachverband für integrative Lerntherapie zusammenarbeitet.

Abrechnung der Therapie von Lernstörungen über die Krankenkasse

In Österreich besteht eine Problematik bezüglich der Abrechnung von LRS- und Dyskalkulietherapie über die Krankenkasse. Einige Gesundheitsberufe wie Logopädinnen und Ergotherapeutinnen dürfen Legasthenie- und Dyskalkulietherapie über die Krankenkasse abrechnen, auch wenn sie lediglich grundlegende Kenntnisse zu den Störungsbildern Lese-Rechtschreibstörung und Rechenstörung aufweisen.

Im Gegensatz dazu ist es auch hochqualifizierten Lerntherapeutinnen bzw. Legasthenie- und Dyskalkulietrainerinnen mit einer umfassenden und spezialisierten Ausbildung in diesen Bereichen, leider nicht gestattet, diese Leistungen über die Krankenkasse abzurechnen. Der Grund hierfür liegt darin, dass Lerntherapie in Österreich nicht als eigenständiger Gesundheitsberuf anerkannt ist, da die angewandten Methoden hauptsächlich pädagogischer Natur sind. D. h. die Kosten für die Lerntherapie bei einer Lerntherapeutin tragen die Eltern.

Diese Situation wirft Fragen auf hinsichtlich der gerechten Verteilung von Ressourcen und der Qualität der angebotenen Therapien. Es stellt sich mir die Frage, ob die derzeitigen Regelungen die bestmögliche Unterstützung für betroffene Kinder gewährleisten.

Was ist das Problem?

Logopäden und Ergotherapeuten gelten als Fachexperten für Sprach- und Motorikstörungen. Doch auch bei diesen Therapeuten gibt es lange Wartelisten. Ein Kind mit einer Sprachentwicklungsstörung kann mehrere Monate auf einen Logopädieplatz warten. Diese Situation verschlechtert sich, wenn wertvolle Therapieplätze mit Kindern belegt werden, die eine Dyskalkulietherapie bei einer Logopädin durchführen, die ohne Zusatzqualifikation nur oberflächlich mit dem Thema Rechenstörung vertraut ist.

Zum Vergleich: Während Logopädinnen in ihrer Grundausbildung zwischen 0 und 2 Wochenstunden in einem einzigen Semester etwas über Grundlagen, Diagnostik und Förderung von Rechenstörungen lernen, habe ich als akademische Lerntherapeutin mich 3 Semester fast ausschließlich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Ich absolvierte ein Praktikum von 80 Unterrichtseinheiten, in dem ich unter Supervision zwei Kinder mit Dyskalkulie förderte und jeweils eine Falldokumentation erstellen musste. Für LRS musste ich ebenso 3 Semester investieren und sogar drei Kinder jeweils 40 Einheiten lang fördern.

Und noch einmal zur Erinnerung: Während die Logopädin die Dyskalkulietherapie mit der Krankenkasse abrechnen kann, darf ich als Akademische Lerntherapeutin mit einem Master in Lerntherapie das nicht.

Was zur Folge hat, dass nur Eltern, die sich eine qualifizierte Lerntherapie leisten können, diese für ihre Kinder in Anspruch nehmen können. Kinder aus sozialschwachen Familien nehmen einem Kind mit einer Sprachentwicklungsstörung einen wertvollen Therapieplatz bei einer Logopädin weg oder fallen durch das Raster. Diese Ungleichheit im Zugang zu qualifizierter Therapie verstärkt bestehende soziale Ungerechtigkeiten und kann dazu führen, dass Kinder aus benachteiligten Familien in ihrer Entwicklung nicht angemessen unterstützt werden.

Fazit

Bei der Auswahl einer qualifizierten Legasthenie- oder Dyskalkulietrainerin für dein Kind sollte die Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht das einzige Kriterium sein. Es ist entscheidend zu verstehen, dass ein grundlegendes Wissen über Lernstörungen nicht ausreicht, um eine wirksame Förderung zu gewährleisten – und dies betrifft alle drei vorgestellten Berufsgruppen!

Um Kindern mit Lernstörungen das Lesen, Rechtschreiben und Rechnen effektiv beizubringen, ist eine umfassende Ausbildung der Therapeutin von hoher Bedeutung. Diese Ausbildung sollte auf einer breiten, empirisch fundierten Basis stehen und über mehrere Semester hinweg erfolgen. Dabei ist es entscheidend, dass ausreichend Praxiserfahrung unter der Anleitung erfahrener TherapeutInnen gesammelt wird.

Bevor du dich für eine Lerntherapie bei jemandem entscheidest, frage daher gezielt nach den vertieften Zusatzqualifikationen. Ein fundiertes Wissen über Lernstörungen sowie spezifische therapeutische Techniken und Methoden sind unerlässlich.

Ein wichtiger Anhaltspunkt bei der Suche nach qualifizierten TherapeutInnen ist der Berufsverband Akademischer Legasthenie-DyskalkulietherapeutInnen (BALDT). Dieser Verband garantiert die Einhaltung strenger Qualitätskriterien und bietet eine Orientierungshilfe bei der Auswahl einer geeigneten Fachperson für die Förderung von Kindern mit Legasthenie oder Dyskalkulie.

Jetzt mehr dazu in meinem Blogartikel Wie findet man einen seriösen Therapeuten für Lernstörungen? - Oder die Nadel im Heuhaufen? erfahren.

Ist die Therapie von der Steuer absetzbar?

Laut eines Artikels der Presse (leider schon aus dem Jahre 2013) erkennt der Fiskus die Kosten für eine spezielle Förderung als außergewöhnliche Belastung an, wenn die Lernschwäche von einem Arzt diagnostiziert wurde.

Jedoch herrscht Unklarheit darüber, ob die Lerntherapie tatsächlich als außergewöhnliche Belastung steuerlich absetzbar ist. Verschiedene Steuerberater geben hierzu unterschiedliche Auskünfte, und auch eine Umfrage in meiner Facebookgruppe Legasthenie & Dyskalkulie Österreich im April 2024 zeigt eine breite Palette von Erfahrungen.

Einige Eltern und Therapeutinnen berichten von erfolgreichen Abschreibungen ihrer Lerntherapiekosten, während andere Eltern mit einer Ablehnung konfrontiert wurden. Angesichts dieser Uneinheitlichkeit ist es ratsam, es einfach zu versuchen. Im schlimmsten Fall wird die Abschreibung abgelehnt, aber es könnte auch erfolgreich sein. Wie mein Steuerberater sagt: "Bei einer Steuererklärung oder Steuerüberprüfung kommt es häufig auf die richtigen Argumente an."

Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit von Lerntherapiekosten von verschiedenen Faktoren abhängt, darunter die individuelle Situation des Kindes, die Art der Diagnose und die Argumentation in der Steuererklärung.

Autorin: Ute Temel, MA, Akademische Therapeutin für Lernstörungen,

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde teilweise in diesem Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet und das generische Femininum verwendet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beide Geschlechter.

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